Bürgerenergie contra Plattformwirtschaft
Die EnerÂgieÂwenÂdeÂbeÂweÂgung hatÂte groÂße HoffÂnunÂgen auf die grüÂne RegieÂrungsÂbeÂteiÂliÂgung gesetzt. InzwiÂschen kehrt ErnüchÂteÂrung ein. Die EnerÂgieÂpoÂliÂtik hierÂzuÂlanÂde wird nach wie vor jenÂseits des AtlanÂtiks bestimmt. Und dabei spielt die PlattÂformÂökoÂnoÂmie, die seit der PanÂdeÂmieÂpoÂliÂtik einen groÂßen AufÂschwung erfahÂren hat; eine wichÂtiÂge RolÂle. Das betrifft die ErneuÂerÂbaÂren EnerÂgien und ihre AnwenÂder, auch wenn das vieÂlen MenÂschen noch nicht bewusst ist.

„Es wäre eine krasÂse FehlÂentÂwickÂlung, die auf die fosÂsiÂlen und atoÂmaÂren EnerÂgien zugeÂschnitÂteÂnen StrukÂtuÂren beiÂzuÂbeÂhalÂten und innerÂhalb dieÂser ledigÂlich die EnerÂgieÂquelÂlen ausÂzuÂtauÂschen. VielÂmehr geht es darÂum, den bestehenÂden enerÂgieÂwirtÂschaftÂliÂchen HandÂlungsÂrahÂmen aufÂzuÂbreÂchen“. DieÂse grundÂsätzÂliÂche FestÂstelÂlung stammt von HerÂmann Scheer aus seiÂnem Buch Der EnerÂgethiÂsche ImpeÂraÂtiv (S. 38 u. 27). Der einÂfaÂche AusÂtausch der EnerÂgieÂquelÂlen alleiÂne würÂde keiÂnen WechÂsel der gesellÂschaftÂliÂchen VerÂhältÂnisÂse herÂbeiÂfühÂren. Scheer ging es immer um mehr. Er verÂband mit den erneuÂerÂbaÂren EnerÂgien „einen WechÂsel von der DesÂinÂteÂgraÂtiÂon der MenÂschen aus den NaturÂkreisÂläuÂfen hin zu ihrer Re-InteÂgrieÂrung“ (S.41).
Er bezeichÂneÂte die SituaÂtiÂon, in der es ErneuÂerÂbaÂre EnerÂgien in namÂhafÂter Zahl gibt, das alte fosÂsil-atoÂmaÂre SysÂtem aber noch in Kraft ist, als HybridÂphaÂse. Für dieÂse ÜberÂgangsÂsiÂtuaÂtiÂon wies er aber auch auf die GefahÂren hin. Denn die EntÂwickÂlung zu einem EnerÂgieÂwechÂsel verÂlauÂfe weder geradÂliÂnig noch ohne AusÂeinÂanÂderÂsetÂzunÂgen. LetzÂteÂres gehört ja zur GeschichÂte des EEG. TrotzÂdem ist es erforÂderÂlich, die KämpÂfe und die ökoÂnoÂmiÂsche EntÂwickÂlung, auch und geraÂde im gloÂbaÂlen MaßÂstab, zu anaÂlyÂsieÂren und zu reflekÂtieÂren. SchauÂen wir uns kurz die ErfahÂrunÂgen der letzÂten beiÂden JahrÂzehnÂte an, also seit dem Start des EEG 2000.
Ökostrom an die Börse zu bringen, war zerstörerisch

Beim Ursprungs-EEG hatÂte die rot-grüÂne BunÂdesÂreÂgieÂrung den geförÂderÂten ÖkoÂstrom ausÂdrückÂlich von der VerÂmarkÂtung an der BörÂse ausÂgeÂnomÂmen. DieÂses Modell war erfolgÂreich und führÂte zu einem expoÂnenÂtiÂelÂlen WachsÂtum von PhoÂtoÂvolÂtaÂik- und WindÂstromÂanÂlaÂgen. Dies galt auch für BioÂgasÂanÂlaÂgen. Die ZieÂle der techÂniÂschen EntÂwickÂlung sowie der planÂmäÂßiÂgen KosÂtenÂsenÂkung wurÂden erreicht. In 2010 und 2011 gab es jeweils einen RekordÂzuÂbau an PV-LeisÂtung von über sieÂben GigaÂwatt pro Jahr. Bei einer uneinÂgeÂschränkÂten FortÂfühÂrung dieÂses SzeÂnaÂriÂos wären mögÂliÂcherÂweiÂse 100 ProÂzent ÖkoÂstrom im Jahr 2020 erreichÂbar geweÂsen, zuminÂdest hätÂte man dieÂsem Ziel recht nahe komÂmen können.
Aber im Jahr 2009 wurÂde der ÖkoÂstrom von der RegieÂrung MerÂkel an die BörÂse geschickt.
Dies war ein tiefÂgreiÂfenÂder ParaÂdigÂmenÂwechÂsel. Der Merit-Order-Effekt, der nun auf ÖkoÂstrom angeÂwandt wurÂde, hatÂte zerÂstöÂreÂriÂsche FolÂgen. PhoÂtoÂvolÂtaÂik und WindÂenerÂgie braÂchen komÂplett ein. Über 100.000 geraÂde erst entÂstanÂdeÂne ArbeitsÂplätÂze wurÂden durch dieÂses neue StromÂmarktÂdeÂsign wieÂder verÂnichÂtet. Die ProÂdukÂtiÂon von PV-ModuÂlen verÂlaÂgerÂte sich nach ChiÂna, das sich zum WeltÂmarktÂfühÂrer entÂwiÂckelÂte. Ein JahrÂzehnt lang zahlÂten die BürÂger eine stänÂdig steiÂgenÂde EEG-UmlaÂge. Zugleich konnÂten die StromÂkonÂzerÂne vom günsÂtiÂgen ÖkoÂstrom proÂfiÂtieÂren. Die erneuÂerÂbaÂren EnerÂgien erlebÂten ein NischenÂdaÂsein. Bis heuÂte hat sich darÂan nichts geändert.
Die TatÂsaÂche, dass in den zwanÂzig JahÂren des EEG zwei völÂlig gegenÂsätzÂliÂche poliÂtiÂsche und ökoÂnoÂmiÂsche KonÂzepÂte gefahÂren wurÂden ist den meisÂten BürÂgern bis kaum bewusst. Aber auch in der EnerÂgieÂwenÂdeÂbeÂweÂgung scheiÂnen vieÂle mit den erreichÂten knapp 50 ProÂzent ÖkoÂstrom zufrieÂden zu sein. Der AmtsÂanÂtritt der AmpelÂkoÂaliÂtiÂon wurÂde vielÂfach mit der HoffÂnung verÂbunÂden, jetzt werÂde es wieÂder aufÂwärts gehen. Doch davon ist bisÂlang wenig zu bemerÂken. Robert Habecks „OsterÂpaÂket“ hat bisÂlang nur marÂgiÂnaÂle VerÂänÂdeÂrunÂgen gebracht. Über das „WinÂterÂpaÂket“ herrscht weitÂgeÂhend UnklarÂheit. StattÂdesÂsen wird über AKW-StreckÂbeÂtrieb, LNG-ImporÂte, NetzÂausÂbau, DigiÂtaÂliÂsieÂrung oder ein neuÂes MarktÂdeÂsign gereÂdet, über InselÂlöÂsunÂgen und EnerÂgieÂautÂarÂkie gibt es verÂeinÂzelt DisÂkusÂsioÂnen. Aber letzÂteÂres gerät angeÂsichts der SankÂtioÂnen gegen RussÂland und die Abkehr vom rusÂsiÂschen Gas hin zu US-FrackÂingÂgas aus dem BlickÂfeld. DerÂweil sind die exploÂdieÂrenÂden EnerÂgieÂkosÂten für den NorÂmalÂbürÂger kaum noch bezahlbar.
Das KonÂzept der RegieÂrunÂgen MerÂkel, mit der „BrüÂckenÂtechÂnoÂloÂgie ErdÂgas“ eine „EnerÂgieÂwenÂde“ von oben zu machen, welÂche die ErneuÂerÂbaÂren ins bestehenÂde EnerÂgieÂsysÂtem hinÂeinÂzwingt, ist kraÂchend gescheitert.
DemonsÂtraÂtivsÂtes ZeiÂchen dafür ist die SprenÂgung der beiÂden OstÂsee-PipeÂlines NordÂstream 1 und 2. Eine SekÂtoÂrenÂkoppÂlung mit dem WärÂmeÂsekÂtor und der MobiÂliÂtät ist angeÂsichts der EnerÂgieÂpreiÂse, aber auch der vorÂerst nicht verÂfügÂbaÂren EnerÂgieÂmenÂgen, die verÂstromt werÂden müssÂten, außerÂhalb jeder ReichÂweiÂte. Somit ist, allen BeteueÂrunÂgen des grüÂnen WirtÂschafts-und EnerÂgieÂmiÂnisÂters zum Trotz, die Zukunft der EnerÂgie- und KliÂmaÂpoÂliÂtik völÂlig offen. Als KonÂseÂquenz sind zwei entÂgeÂgenÂgeÂsetzÂte SzeÂnaÂriÂen denkbar.
Plattformökonomie – verkaufen ohne zu besitzen
Wir alle kenÂnen die PlattÂformÂökoÂnoÂmie – auch wenn der Begriff noch nicht so geläuÂfig ist. OnlineÂkäuÂfe sind längst norÂmal und werÂden von naheÂzu allen BürÂgern prakÂtiÂziert. Die PlattÂform-AkteuÂre sind AnbieÂter und VerÂkäuÂfer, die in der Regel selbst nichts erzeuÂgen, aber die MärkÂte mehr und mehr domiÂnieÂren. Sie verÂfüÂgen über eine mächÂtiÂge IT und einen rieÂsiÂgen FunÂdus an Daten, mit denen sie über ihre „VerÂtragsÂpartÂner“ herrÂschen, ohne in deren GeschäftsÂfelÂdern proÂdukÂtiv oder gar als WettÂbeÂwerÂber aktiv sein zu müsÂsen. Vor unseÂren Augen finÂdet eine extreÂme MonoÂpoÂliÂsieÂrung statt und zwar auf gloÂbaÂler EbeÂne. KeiÂner dieÂser AkteuÂre ist ausÂschließÂlich auf einer natioÂnaÂlen EbeÂne aktiv.
Bei AmaÂzon kann man naheÂzu alles online ersteÂhen, was für HausÂhalt, HandÂwerk, KonÂsum und FreiÂzeitÂbeÂschäfÂtiÂgung denkÂbar ist. Mit Flix Bus oder Flix Train kann man durch ganz EuroÂpa fahÂren, über eigeÂne OmniÂbusÂse oder Züge verÂfügt dieÂses UnterÂnehÂmen nicht. Die LisÂte lieÂße sich mit LieÂferanÂdo, booking.com, Uber, ebay oder AliÂbaba fortÂfühÂren. Aber auch Hege-Fonds und VerÂmöÂgensÂverÂwalÂtunÂgen wie etwa Black Rock oder VanÂguard falÂlen unter dieÂse KateÂgoÂrie. Das SchlagÂwort von den HeuÂschreÂcken hat sich für die einÂgeÂbürÂgert, die gesunÂde UnterÂnehÂmen aufÂkauÂfen, zerÂleÂgen und gewinnÂbrinÂgend weiÂterÂverÂkauÂfen. Seit rund zwei JahÂren, konÂkret seit der Zeit der PanÂdeÂmieÂmaßÂnahÂmen, absorÂbiert die neue ÖkoÂnoÂmie verÂstärkt mitÂtelÂstänÂdiÂsche BetrieÂbe geraÂde auch in Deutschland.
Bürger produzieren Strom, Monopolisten wollen ihn vermarkten
Aber wie ist das im EnerÂgieÂbeÂreich? Es wird viel von NetzÂausÂbau gesproÂchen und von DigiÂtaÂliÂsieÂrung — auch von einem neuÂen MarktÂdeÂsign. WelÂche Markt- und MachtÂinÂterÂesÂsen verÂberÂgen sich dahinÂter und welÂchen AusÂwirÂkunÂgen kann das für den EnerÂgieÂbeÂreich haben? DarÂüber wird wenig gesproÂchen und nachÂgeÂdacht. Die EnerÂgieÂwenÂde-NGOs legen den Fokus weiÂterÂhin auf „techÂnisch“. Ob das bestehenÂde StromÂmarktÂdeÂsign mit seiÂnem KernÂeleÂment des zenÂtraÂlen StromÂnetÂzes günsÂtiÂge VorÂausÂsetÂzunÂgen für eine PlattÂformÂökoÂnoÂmie bilÂdet oder nicht, wird nicht reflekÂtiert. WelÂche RolÂle die Strom- und ErdÂgasÂbörÂsen, deren FieÂberÂkurÂven, ausÂgeÂlöst durch SpeÂkuÂlaÂtioÂnen und ZockeÂreiÂen, für die PreisÂexploÂsioÂnen ursächÂlich sind und wie das den Weg für eine PlattÂformÂökoÂnoÂmie im EnerÂgieÂbeÂreich ebnen könnÂte, interÂesÂsiert offenÂbar wenige.
An der gesetzÂliÂchen Lage ist bisÂlang, wie oben beim TheÂma „OsterÂpaÂket“ beschrieÂben, grundÂsätzÂlich nichts verÂänÂdert. AufÂfälÂlig ist aber, dass das „OsterÂpaÂket“ die vollÂumÂfängÂliÂche NetzÂeinÂspeiÂsung von PV-AnlaÂgen bevorÂzugt und besÂser verÂgüÂtet als den EigenÂverÂbrauch. So wird die Teil-NetzÂeinÂspeiÂsung bei EigenÂverÂbrauch um rund 50 ProÂzent schlechÂter verÂgüÂtet. Dazu passt auch, dass die TheÂse von den dezenÂtraÂlen ErneuÂerÂbaÂren EnerÂgien inzwiÂschen difÂfeÂrenÂziert wird. DezenÂtral erzeuÂgen ja, lauÂtet eines der neuÂen NarÂraÂtiÂve, aber zenÂtral verÂmarkÂten. Damit lieÂße sich die EnerÂgieÂwenÂde und der KliÂmaÂschutz schnelÂler reaÂliÂsieÂren. Dies hat sogar EinÂgang in das neue GrundÂsatzÂproÂgramm 2020 der GrüÂnen gefunden.
Das groÂße Netz ermögÂlicht aber geraÂde den MonoÂpoÂlisÂten einen günsÂtiÂgeÂren Zugriff auf den dezenÂtral erzeugÂten ÖkoÂstrom. Die StromÂbörÂse ist bereits etaÂbliert und hat gezeigt, wie groÂße EnerÂgieÂkonÂzerÂne, etwa VatÂtenÂfall, EnBW, RWE und Eon, aber auch die ÜberÂtraÂgungsÂnetzÂbeÂtreiÂber davon proÂfiÂtieÂren könÂnen. Als InvesÂtiÂtioÂnen bleiÂben die ErneuÂerÂbaÂren mit ihrer KleinÂteiÂligÂkeit nach wie vor kein RenÂdiÂteÂobÂjekt für das groÂße KapiÂtal. Was liegt da näher als die MethoÂden der PlattÂformÂökoÂnoÂmie anzuÂwenÂden? GeraÂde die BürÂgerÂenÂerÂgie hat bewieÂsen, dass sie in der Lage ist, groÂße InvesÂtiÂtiÂonsÂsumÂmen aufÂzuÂbrinÂgen. Aber verÂmarkÂten sollÂte sie ihren ÖkoÂstrom besÂser nicht. Das sollÂte den GroÂßen vorÂbeÂhalÂten bleiÂben. KomiÂscherÂweiÂse kann das KalÂkül der GroÂßen bei den ÖkoÂstromern kaum jemand nachvollziehen.
Energieautarkie als gesellschaftsverändernde Kraft
Auch wenn dieÂse DefiÂziÂte leiÂder vorÂhanÂden sind, sollÂte man nicht überÂseÂhen, wie innoÂvaÂtiÂve ProÂdukÂte im EFH-Bereich und im mitÂtelÂstänÂdiÂgen GewerÂbe dabei sind, sich einen Markt zu erobern. Im ZenÂtrum dieÂser innoÂvaÂtiÂven TechÂnoÂloÂgien steÂhen BatÂteÂrieÂspeiÂcher und autoÂnoÂme EnerÂgieÂmaÂnageÂmentÂsysÂteÂme. Sie könÂnen als InselÂlöÂsunÂgen unabÂhänÂgig vom groÂßen „öffentÂliÂchen“ Netz betrieÂben werÂden. Und sie eigeÂnen sich besÂtens für die VerÂbinÂdung von Strom, WärÂme und MobiÂliÂtät. Aber eben dezenÂtral. DieÂse EntÂwickÂlung steckt noch in den KinÂderÂschuÂhen und ist recht heteÂroÂgen. Aber sie ist offenÂsichtÂlich marktÂgeÂtrieÂben. Oder anders ausÂgeÂdrückt, sie kommt von unten, BotÂtom up. Ihre ErgänÂzunÂgen finÂden BotÂtom up LösunÂgen zum BeiÂspiel auch in ersÂten KomÂbiÂkraftÂwerÂken, welÂche die bisÂlang sinÂguÂlär betrieÂbeÂnen Solar- und WindÂparks zu neuÂen EinÂheiÂten zusamÂmenÂfüÂgen, die gleichÂfalls autÂark und unabÂhänÂgig vom groÂßen Netz agieÂren können.
Die Zukunft der BürÂgerÂenÂerÂgie erscheint momenÂtan indifÂfeÂrent. Sie könnÂte zum reiÂnen ZulieÂfeÂrer einiÂger PlattÂformÂkonÂzerÂne degraÂdiert werÂden. GewisÂserÂmaÂßen zum Flix Bus oder Uber-Taxi der EnerÂgieÂwenÂde. Sie könnÂte aber auch zum TreiÂber einer EnerÂgieÂautÂarÂkie werÂden, die eine gesellÂschaftsÂverÂänÂdernÂde Kraft entfaltet.
Autor: Klaus OberÂzig
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