CCS: Des Fossils neues Kleid
Viele seiner Vor-Wahl-Ankündigungen hat der mögliche nächste Bundeskanzler Merz fallen lassen. Die Novellierung des CCS-Gesetzes, welche die Ampel-Regierung wegen Widerständen aus den Reihen der Grünen und auch der SPD nicht mehr durchbringen konnte, setzt er aber ganz oben auf die Agenda. CCS und CCU sollen für „schwer vermeidbare Emissionen der Industrie und Gaskraftwerke“ zum Einsatz kommen.

CO₂-Quellen zu Profitquellen machen
Welch eine Widersprüchlichkeit schon in diesen wenigen Worten steckt! Wenn nur „schwer vermeidbare“ Emissionen einer Entsorgung per CCS zugeführt werden sollen, bedeutet dies im Umkehrschluss, dass für „leicht vermeidbare“ Emissionen CCS und CCU nicht zum Einsatz kommen dürfen. Ausgerechnet aber diejenigen Emissionen, die am allerleichtesten und am vorteilhaftesten zu vermeiden sind — nämlich die von Gaskraftwerken, welche jederzeit durch erneuerbare Technologien vollständig zu ersetzen wären — werden von der Vermeidungspflicht ausgenommen und dem CCS-System zur Verfügung gestellt. Offensichtlich liegt die Priorität nicht auf maximaler Emissionsvermeidung, sondern darauf, ein möglichst großes Anwendungsfeld für CCS zu schaffen.
Die Umetikettierung: Wie EOR zu CCS wurde
So wird von Anfang an klar, dass Klimaschutz gar nicht das treibende Motiv ist. Wer wissen will, worum es statt dessen geht, wird unter anderem bei der Deutschen Carbon Management Initiative (DCMI) fündig. Diese – ein Zusammenschluss von Firmen, die mit Erdgas, Pipelinebau und verwandten Tätigkeiten zu tun haben (SEFE, OGE, Gasunie, Uniper und Höegh Evi) – propagiert CCU/S zwecks „Entwicklung einer leistungsfähigen CO₂-Wertschöpfungskette in Deutschland“. Per CCS sollen CO₂-Quellen zu Profitquellen werden. Es geht also gerade nicht darum, sich vom CO₂ zu verabschieden, denn je mehr davon zum Verpressen anfällt, umso „leistungsfähiger“ wird die „CO₂-Wertschöpfungskette“. Auf die fossile Energiewirtschaft lässt sich deshalb nicht verzichten: Durch Beschränkung auf einige industrielle CO₂-Quellen würde die Errichtung einer CCS-Infrastruktur unrentabel.
Kleiner Exkurs zum Thema „Kompromiss“
Schlimm, dass auf der höchsten politischen Ebene unseres Landes eine derart hinterhältige Taktik möglich ist, sowie das intellektuell niedrig stehende Denken, auf dem sie basiert. Schlimm, dass auch die SPD das alles mitmacht, statt sich zu einer Rolle als Korrektiv berufen zu fühlen.
Nina Scheer, energie- und klimapolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion und stellvertretende Leiterin der Arbeitsgruppe Klima- und Energiepolitik in den Sondierungsgesprächen wurde vom Tagesspiegel gefragt:
“Der Bau von Gaskraftwerken mit CCS ist laut Koalitionsvertrag zulässig. Die SPD war eigentlich dagegen. Was kann Ihre Partei dem Vorschlag plötzlich abgewinnen?” Ihre Antwort:
“Es müssen in einem Koalitionsvertrag immer Kompromisse gemacht werden, die auch bedeuten können, dass Dinge verständigt werden, die von einer Seite kritisch gesehen werden. In der Umsetzung wird darauf zu achten sein, keine verlängerten Abhängigkeiten von fossilen Gasen beziehungsweise keine Hemmnisse für den Hochlauf von grünem Wasserstoff zu schaffen.“
Sicher, es kann Situationen geben, in denen Kompromisse in der Sache unvermeidlich sind. Nicht aber im Fall schierer intellektueller Unzulänglichkeit, beziehungsweise unlauterer Absichten! Gilt die „schwere Vermeidbarkeit von Emissionen“ als Grundkriterium für CCS, darf man CCS nicht für die Entsorgung leicht vermeidbarer Emissionen nutzen/zulassen. Wer das trotzdem will, muss ein spezielles Motiv haben und dieses offen legen. Verwirrung der Bevölkerung kann niemals Ziel eines Kompromisses sein!
Und wie ist zu verstehen „In der Umsetzung … darauf zu achten …, keine verlängerten Abhängigkeiten von fossilen Gasen … zu schaffen.“? — Durch den Bau von 20 GW neuer Gaskraftwerke sind die „verlängerten Abhängigkeiten von fossilen Gasen“ laut Koalitionsvereinbarung doch beschlossen. Worauf gibt es dabei denn jetzt noch zu achten? Aber zurück zum Thema.
Fossil-Konzerne leugneten den Klimawandel
Ab ca. 1960 erkannte die Gesellschaft vermehrt den Klimawandel als Realität und fossile Energien als dessen Hauptursache. Auch die fossile Industrie war sich des Sachverhalts bewusst und welche Gefahr er für ihre Zukunft bedeutet. Sie suchte Hilfe in dem, was „Wissenschaft“ genannt wird: Träger wissenschaftlicher Titel wurden bezahlt, um öffentlich zu „beweisen“, dass es den Klimawandel nicht gibt (siehe zum Beispiel den Bericht des US-Kongresses vom April 2024 mit dem Titel „Leugnen, Desinformation und Doppelzüngigkeit: Die Bemühungen von Big Oil, sich der Verantwortung für den Klimawandel zu entziehen“).
Diese Taktik stellte sich aber als zu einfach, als zu plump gedacht heraus. Angesichts immer drastischer werdender Auswirkungen der Klimaerhitzung war die Behauptung, dass es das alles gar nicht gibt, nicht aufrecht zu erhalten. Eine bessere Strategie für die Zukunftssicherung musste her.
EOR wird in CCS umgelogen
Den Konzernen kam eine für ihre Zwecke wirklich raffinierte Idee. Sie stoppten die Leugnung des Klimawandels. Stattdessen bemühten sie sich, seine Gefährlichkeit möglichst herauszustellen. Doch sie präsentierten ein Gegenmittel. Die Ursache des Übels sei zu viel CO₂ in der Luft. Dieses Problem könne man beseitigen. Man müsse das Klimagas einfach unter der Erde ablagern. Dort könne es keinen Schaden anrichten.
Seit den 1970er Jahren war es in den USA gängige Praxis, CO₂ in Ölfelder zu pressen. Dadurch wollte man die Förderung effektivieren (Enhanced Oil Recovery, EOR). Je nach den örtlichen geologischen Verhältnissen kam mit dem zusätzlich geförderten Öl das meiste CO₂ sogleich wieder nach oben. Ein Teil verblieb aber bis auf weiteres im Untergrund. Dies deklarierte man als „dauerhafte Speicherung“. Man gab dem „Enhanced Oil Recovery“ einfach einen anderen Namen: „Carbon Capture and Storage, CCS“. Am technischen Verfahren änderte sich dadurch gar nichts. Man kaufte CO₂ zum Beispiel von Kohlekraftwerken. Dann behauptete man: Dieses CO₂ wird teilweise im Untergrund festgehalten. Es ist somit der Luft entzogen und schützt das Klima.
Man hängte jedoch eine Tatsache nicht an die große Glocke: Bei der Verbrennung des per EOR zusätzlich geförderten Öls wird ein Vielfaches des im Untergrund verbliebenen CO₂ freigesetzt. In der Bilanz wird also weitaus mehr CO₂ emittiert, als wenn die Abgase des Kraftwerks unbehandelt in die Luft gehen würden. Der Überschuss ist nämlich enorm. Mit den „normalen“ Fördermethoden kann ein Ölfeld zu 20 bis 40 Prozent ausgebeutet werden. Durch EOR steigert sich dieser Wert auf 30 bis 60 Prozent. (Quelle)
Bei 80% aller „CCS“ genannten Projekte handelt es sich um EOR
Vielleicht möchte der eine oder die andere jetzt meinen, dass diese völlig absurde Verkehrung von Klimaschutz in sein Gegenteil vielleicht ausnahmsweise vorkommen mag. „Schwarze Schafe“ gibt es ja überall. Doch so ist es nicht.
Die Bundesregierung selber teilt in ihrem CCS-Evaluierungsbericht mit, dass es sich bei 70 Prozent sämtlicher „CCS“ genannten Unternehmungen um EOR handelt. Der Journalist Michael Buchsbaum kommt auf “mehr als 80 Prozent” (“Wenn man zur Rettung des Klimas Öl braucht” (Quelle)
Obwohl die meiste „CO₂-Speicherung“ die Emissionen sogar steigert, hindert das Bundesregierung und Befürworter nicht daran, das Gegenteil zu behaupten: Sie stufen CCS als unverzichtbare Klimaschutzmaßnahme ein und fordern dessen Einsatz und Förderung.
Herkunft des CO₂ verschärft das Problem
Dabei ist das bisher Gesagte noch nicht alles. Ein wichtiger Fakt ist hierzulande kaum bekannt: Mehr als 70% der US-„CCS“-Projekte sind tatsächlich EOR. Sie nutzen CO₂, das überwiegend nicht von Menschen verursacht wurde (also nicht aus Kraftwerken oder Industrie). Stattdessen stammt es aus natürlichen Vorkommen – das ist billiger und einfacher. So wird CO₂ aus bisher verschlossenen natürlichen Quellen freigesetzt. Dieses gelangt dann – zusätzlich zum CO₂ aus dem verbrannten EOR-Öl – größtenteils ebenfalls in die Atmosphäre (Buchsbaum, op.cit.).
Zur CCS-Debatte in der Gesellschaft
Laut CCS-Apologeten dient das alles dem Klimaschutz. Doch immerhin gibt es auch Gegenstimmen — und nicht wenige. Die Literatur aus Studien pro und contra, Berichten und Kommentierungen in den Medien, vielgestaltigem Propagandamaterial ist unüberschaubar geworden. Die Kontroverse läuft seit annähernd zwei Jahrzehnten.
Derweil klopfen sich die Konzernführer auf die Schenkel. Diese Zeit haben sie schon mal gut über die Runden gebracht. Mit einer zu plumpen Lüge fingen sie an. Die zweite Lüge hat dann aber gesessen. Ein ganzes Heer wissenschaftlich ausgebildeter Fürsprecher hat sie hervorgebracht, die CCS quasi zu ihrer Weltanschauung gemacht haben und ihre Brötchen damit verdienen.
Auf der Seite der zum großen Teil ehrenamtlich tätigen Gegner konnte durch die CCS-Debatte ein beträchtliches Potenzial an Intelligenz und Engagement gebunden werden, das andernfalls dem Ausbau der erneuerbaren Energien zugute gekommen wäre.
CCS: Der Versuch, die Vergangenheit festzuhalten
Geht man der Taktik der Fossil-Konzerne also schon auf den Leim, wenn man so viel Zeit und Energie in die Auseinandersetzung mit der CCS-Lüge investiert? Die Antwort ist: Nein und Ja.
Nein, man geht nicht auf den Leim, wenn man die ernsthafte Analyse ihrer falschen Behauptungen nutzt. Dadurch kann man einen scharfen Blick, unbeirrtes Denken und eine mutige Haltung trainieren.
Ja, man geht auf den Leim, wenn man der CCS-Idee zu viel Potenzial beimisst. Das gilt auch, wenn man irgendwann nicht erkennt, dass Erbärmlichkeit ihr eigentliches Wesen ist. Sie ist kein mit frischem Mut in die Zukunft gerichtetes Projekt, sie ist der aus Not geborene Versuch, Vergangenheit festzuhalten.
Die erneuerbaren Energien wachsen aber unaufhaltsam. Sie sind der alten Energiewelt überlegen hinsichtlich Klimaverträglichkeit, hinsichtlich Kosten, hinsichtlich Resilienz und – wegen ihres dezentralen Wesens – hinsichtlich Demokratiefreundlichkeit. Gegen all das hat die fossile Branche nichts anzubieten. — Würde sie doch wenigstens den Mumm aufbringen, den es zum „Loslassen“ braucht! Welch gigantischen Gefallen würde sie damit der Welt und sich selber tun! Verhindern kann sie den Energiewechsel nicht, aber sie kann ihn durch CCS hinauszögern und neben Öl und Gas Unsummen von Geld verbrennen, das für den Aufbau des Neuen zum Wohle aller eingesetzt werden sollte.
Neu sichtbar gewordenen Defizite
CCS kann niemals eine epochemachende Lösung werden. Vergleicht man die heutige Diskussion mit der vor 15 Jahren, so stellt man fest, dass die Befürworter nur Dinge wiederholen können, die damals schon vorgebracht wurden. Auf der Gegenseite sind neue, bedeutende Argumente hinzu gekommen: Der früher als „Vorzeigespeicher“ gehandelte „Sleipner“ demonstriert heute, dass selbst intensivste geologische Untersuchungen keine wirklich sicheren Erkenntnisse erbringen können. (Quelle)
Aktuell wird man bei der Planung von CO₂-Pipelines auf Folgendes aufmerksam: CO₂-Ströme aus verschiedenen industriellen Quellen sind mit unterschiedlichen Verunreinigungen belastet. Wenn solche Ströme in einem Rohr zusammengeführt werden, wie es in Deutschland vorgesehen ist, können gefährliche Mischungen entstehen. Das Wuppertal Institut bezeichnet das Problem als „hochrelevant und nicht trivial“. Bereits geringe Mengen an Begleitstoffen könnten dazu führen, dass sich das Gas plötzlich ausdehnt. „Dadurch könnten Risse entstehen und Gas entweichen.“ (Quelle)
Das pro CCS eingestellte Konsortium GEOSTOR kommt nach Untersuchungen des Nordseeuntergrundes zu einem doch sehr verhaltenen Zwischenergebnis: „Aufgrund der begrenzten Kapazitäten und möglicher Umweltrisiken sollte … nur jene CO₂-Restmenge deponiert werden, deren Entstehung sich trotz konsequenter Klimapolitik nicht vermeiden lässt. … Die wesentlichen Herausforderungen liegen aktuell darin, Vorkehrungen zu treffen, mit denen Leckagen aus dem Speichergestein vermieden werden können.“ (Quelle)
Nackt wie der Kaiser
Die Bundesregierung verbreitet zum Beispiel unsägliche Behauptungen. Die Speicher seien über geologische Zeiträume dicht. Ihre Kapazität sei schier unerschöpflich. Leckagen? Unwahrscheinlich. Grundwasserschäden? Nicht zu befürchten. CCS? Unerlässlich für die Klimaziele. Solche Aussagen lassen an Des Kaisers neue Kleider denken. Dort inszenierten die Betrüger ebenfalls einen Riesenspektakel um nichts. Erst ein Kind traute sich zu sagen: „Aber er hat ja gar nichts an.“
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